Im Mittelpunkt des Projekts morgenLand stehen Visionen für das Leben auf dem Land: Valérie Wagner hat Menschen mittleren Alters portraitiert, die auf dem Land in Schleswig-Holstein leben und alt werden wollen. Es geht um ihre Visionen, Träume und Wünsche angesichts zunehmend schwieriger Lebensbedingungen in einer strukturschwachen Region.
Der Fotografin war es ein Anliegen, Bilder zu finden, die über das Heute – die bekannte Realität – hinausweisen: authentische Bilder mit glaubwürdigen Menschen. Gemeinsam mit ihren Protagonisten richtet sie den Blick nach vorne, in die unbekannte Zukunft.
Valérie Wagner fotografiert die ProjektteilnehmerInnen mit Blick zum Horizont an ihrem jeweiligen Lieblingsort: vor den Augen der Portraitierten und der Betrachter tut sich ein weiter, offener Raum auf. Der Blick geht ins Licht.
Mit Mehrfachbelichtungen wird die untrennbare Verbindung zwischen Mensch und Land visualisiert und spürbar: die Verwurzelung des Menschen in seiner Umgebung ist der Ausgangspunkt, um sich vor Ort für eine lebenswerte Zukunft zu engagieren.
Text spielt eine ergänzende Rolle: am Bild als Interview, in dem die Hoffnungen und Wünsche der Portraitierten zum Ausdruck kommen.
Das Fotoprojekt ist als Auftragsarbeit des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein im Rahmen der Zukunftsstudie ZASH2030/2045 im Jahr 2017 entstanden. Das Diakonische Werk hat das Fotoprojekt unter dem Titel hier & morgen präsentiert: Die Ausstellung mit 10 großformatigen Fotografien wurde in 2018 an neun verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein gezeigt, u.a. in Flensburg, Husum, Kiel, Ratzeburg und Bad Segeberg.
„Der Betrachter folgt unweigerlich dem Blick der ProjektteilnehmerIn zum Horizont und wird wie selbstverständlich in die Landschaft mit ihrer Ruhe und Atmosphäre hineingezogen. Die Projektion der zweiten Ebene entfaltet nicht nur etwas persönliches, das Nähe erzeugt, sie scheint zuweilen beim Betrachter auch Gefühle, wie das Bedürfnis nach Sicherheit, sogar auditive Wahrnehmungen hervorzurufen, wie das Rauschen des Meeres oder eines Baches; selbst die Frische der Luft scheint sich optisch mitzuteilen.
Mit großem Einfühlungsvermögen ist Valérie Wagner eine fotografische Serie gelungen, die komplex und sensibel vom Standort der Gegenwart den Blick in die Zukunft richtet.“
© Dr. Imke Lüders, Kunsthistorikerin, Zitat aus: hier&morgen, 2018
Exhibitions
2018 | Ministerium für Soziales, Kiel |
Marienkirche Flensburg | |
Kreistag Ratzeburg | |
Kreistag Husum | |
Kreistag Bad Segeberg | |
Amt Nordsee-Treene/Mildstedt | |
u.a. | |
Publication
Katalogbroschüre hier&morgen
mit Fotografien und Interviews der Projektteilnehmer*innen von Valérie Wagner und Texten von Dr. Imke Lüders und Dr. Heiko Naß 14 Seiten, 10 Abbildungen, 4c-Druck Herausgeber: Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, 2018 |
Interviews
André, Tümlauer Koog, 47, Verkäufer
Fotografie morgenLand 9: Der Bürgermeister ist hier irgendwann an mich herangetreten und hat gesagt: Eggi, wir brauchen hier einen Bäcker! Dann hat es gar nicht lange gedauert und wir haben hier die Bäckerei aufgemacht. Mal eben so. Da wusste ich noch gar nicht um die Ziele, die man damit erreichen kann. Klar, die Leute können Brötchen kaufen. Ich hab auch ein paar Jahre direkt in Tating gewohnt und ich weiß ja: wegen jedem Mist musste man nach St. Peter oder Tönning fahren. Man muss mobil bleiben können, das macht das Leben lebenswert, gerade hier auf dem Land. Auf dem Tümlauer Koog gibt es gar keinen Nahverkehr, d.h., wenn man nicht mehr selber fahren kann, kommt man dort nicht weg. In Tating gibt es nur den Zug und den Schulbus. Wenn sich der Rufbus etabliert, dann kann man natürlich Hoffnung haben, dass wir da auch mit angebunden werden, denn das würde vielen gerade älteren Leuten helfen, wenn es darum geht, ihre Einkäufe zu erledigen. Dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit, übers Internet Lebensmittel zu bekommen. Wenn es darum geht, wie kann ich mein Altwerden am besten regeln, dann ist die Sache mit dem Internet eine tolle Geschichte, wenn ich damit meine Heimat nicht aufgeben muss. Das darf dann ruhig ’nen Euro teurer sein. Ich habe die Hoffnung, dass die Entwicklung in diese Richtung geht. Das Internet wird sicher noch große Veränderungen bewirken. Ich hoffe, dass der Gebrauch vom Internet in Zukunft auf das Nötigste begrenzt wird, also wenn ich es wirklich brauche. Das hoffe ich gerade für die jungen Leute. |
Anke, Nehms, 47, Hauswirtschaftsleiterin Biolandhof
Fotografie morgenLand 8: Wir leben hier auf unserem Biolandhof in drei Generationen zusammen. Es ist ein Geben und Nehmen, ein Miteinander: der eine hilft dem anderen, ohne auf die Zeit oder das Geld zu schauen. Mein Wunsch fürs Alter: Gemeinsam mit der Familie, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen in allen Aspekten des Lebens, die es gibt. Ich kann mir gut vorstellen, dass für bestimmte Pflegemaßnahmen, z.B. Waschen, jemand kommt und hilft, damit die Angehörigen nicht alles machen müssen und die alten Menschen zuhause bleiben können. Ein Pflegeheim ist für uns aber keine Alternative: auch der alte Mensch gehört zur Familie und darf bis zum Ende dort bleiben. Ich stehe dem Internet und der Überwachung, die damit zusammenhängt, kritisch gegenüber. Also: weniger Computer und Datenweitergabe. Es geht eben auch ohne. Oft werden Daten abgefragt, die gar nicht nötig sind und von denen keiner weiß, wo sie landen und wie sie weiterverwendet werden. Die digitale Kontrolle ist enorm und erschreckend. Deshalb sehe ich auch alles, was das zwischenmenschliche Netzwerk durch Digitalisierung ersetzen soll – wie führerlose Busse oder Pflegeroboter – kritisch. Ich finde es wichtiger, das soziale Netzwerk zu unterstützen. Das Zwischenmenschliche ist wichtiger als alles andere. Ich wünsche mir weniger Chemie auf dem Acker, denn es geht wirklich ohne. Nur die kleinbäuerliche Struktur kann die Welt ernähren, nicht die großen Bauern – die schaffen das nicht, weil die Artenvielfalt verloren geht. Wir wissen, das wir nicht alles auf einmal umkrempeln können, aber wir versuchen als Biohof ein Stückchen zu einer lebenswerten Zukunft beizutragen, hier, auf unsere Art. |