morgenLand 1© Valérie Wagner
morgenLand 2© Valérie Wagner
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morgenLand 6© Valérie Wagner

morgenLand 7© Valérie Wagner

morgenLand 8© Valérie Wagner

morgenLand 9© Valérie Wagner

morgenLand 10© Valérie Wagner

morgenLand

hier&morgen – Visionen für das Leben auf dem Land

Im Mittelpunkt des Projekts morgenLand stehen Visionen für das Leben auf dem Land: Valérie Wagner hat Menschen mittleren Alters portraitiert, die auf dem Land in Schleswig-Holstein leben und alt werden wollen. Es geht um ihre Visionen, Träume und Wünsche angesichts zunehmend schwieriger Lebensbedingungen in einer strukturschwachen Region.
Der Fotografin war es ein Anliegen, Bilder zu finden, die über das Heute – die bekannte Realität – hinausweisen: authentische Bilder mit glaubwürdigen Menschen. Gemeinsam mit ihren Protagonisten richtet sie den Blick nach vorne, in die unbekannte Zukunft.

Valérie Wagner fotografiert die ProjektteilnehmerInnen mit Blick zum Horizont an ihrem jeweiligen Lieblingsort: vor den Augen der Portraitierten und der Betrachter tut sich ein weiter, offener Raum auf. Der Blick geht ins Licht.
Mit Mehrfachbelichtungen wird die untrennbare Verbindung zwischen Mensch und Land visualisiert und spürbar: die Verwurzelung des Menschen in seiner Umgebung ist der Ausgangspunkt, um sich vor Ort für eine lebenswerte Zukunft zu engagieren.
Text spielt eine ergänzende Rolle: am Bild als Interview, in dem die Hoffnungen und Wünsche der Portraitierten zum Ausdruck kommen.

Das Fotoprojekt ist als Auftragsarbeit des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein im Rahmen der Zukunftsstudie ZASH2030/2045 im Jahr 2017 entstanden. Das Diakonische Werk hat das Fotoprojekt unter dem Titel hier & morgen präsentiert: Die Ausstellung mit 10 großformatigen Fotografien wurde in 2018 an neun verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein gezeigt, u.a. in Flensburg, Husum, Kiel, Ratzeburg und Bad Segeberg.

„Der Betrachter folgt unweigerlich dem Blick der ProjektteilnehmerIn zum Horizont und wird wie selbstverständlich in die Landschaft mit ihrer Ruhe und Atmosphäre hineingezogen. Die Projektion der zweiten Ebene entfaltet nicht nur etwas persönliches, das Nähe erzeugt, sie scheint zuweilen beim Betrachter auch Gefühle, wie das Bedürfnis nach Sicherheit, sogar auditive Wahrnehmungen hervorzurufen, wie das Rauschen des Meeres oder eines Baches; selbst die Frische der Luft scheint sich optisch mitzuteilen.
Mit großem Einfühlungsvermögen ist Valérie Wagner eine fotografische Serie gelungen, die komplex und sensibel vom Standort der Gegenwart den Blick in die Zukunft richtet.“
© Dr. Imke Lüders, Kunsthistorikerin, Zitat aus: hier&morgen, 2018

2018 Ministerium für Soziales, Kiel
Marienkirche Flensburg
Kreistag Ratzeburg
Kreistag Husum
Kreistag Bad Segeberg
Amt Nordsee-Treene/Mildstedt
u.a.
Katalogbroschüre hier&morgen

mit Fotografien und Interviews der Projektteilnehmer*innen von Valérie Wagner und Texten von Dr. Imke Lüders und Dr. Heiko Naß

14 Seiten, 10 Abbildungen, 4c-Druck

Herausgeber: Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, 2018

André, Tümlauer Koog, 47, Verkäufer

Fotografie morgenLand 9:
Tümlauer Koog Hafen/Brösum Sielzug, Nordfriesland

Der Bürgermeister ist hier irgendwann an mich herangetreten und hat gesagt: Eggi, wir brauchen hier einen Bäcker! Dann hat es gar nicht lange gedauert und wir haben hier die Bäckerei aufgemacht. Mal eben so. Da wusste ich noch gar nicht um die Ziele, die man damit erreichen kann. Klar, die Leute können Brötchen kaufen. Ich hab auch ein paar Jahre direkt in Tating gewohnt und ich weiß ja: wegen jedem Mist musste man nach St. Peter oder Tönning fahren.
Der richtig schöne Nebeneffekt, den ich damals ehrlicherweise gar nicht berechnet oder erwartet habe, ist, dass sich die Menschen bei mir wieder treffen können. Das Treffen der Dorfgemeinschaft im Dorfkrug, wie das früher war, das machen die älteren Damen und Herren bei mir jetzt zum Kaffee. Und nicht nur die. Der Bürgermeister ist fast jeden Tag hier zum Kaffeetrinken und um mit den Leuten zu schnacken. Das ist ’ne tolle Geschichte! Und so haben sich Sachen entwickelt, die wunderschön sind und die ich gar nicht auf dem Plan hatte.
Mein größter Wunsch: Ganz, ganz wichtig ist, dass wir gesund bleiben, was durchaus auch beeinflusst wird durch die Infrastruktur der Ärzte und Kliniken und welche Möglichkeiten man überhaupt hat. Wenn ich zuhause auf dem Sofa einen Herzklabaster kriege und der Rettungswagen eine Stunde bis zu mir braucht, habe ich ganz schlechte Karten. Ich wünsche mir, auch als Feuerwehrmann, dass wir – so wie es vorgeschrieben ist – innerhalb von 10 Minuten an jedem Unfallort sein können, und dass das in 20 Jahren auch möglich ist, eher noch schneller. Der Trend im Moment geht davon weg, weil vieles zentralisiert wird. Auch wenn’s im Gesetz steht, dass das so sein muss: wenn das Geld nicht da ist, ist es eben nicht so.
Ich hab im Moment mehrere Nachbarn auf dem Tümlauer Koog, die das Rentenalter erreicht haben und dort alles verkaufen und in die Stadt ziehen, eben genau aus diesem Grund: weil die medizinische Versorgung im Notfall nicht gewährleistet ist. Das würde ich mir wünschen: dass da mehr dran gearbeitet wird und dass dort Mittel hinfließen und Möglichkeiten entstehen, damit die Notfallversorgung auch wirklich zeitnah und flächendeckend passieren kann.
Die medizinische Versorgung muss einfach da sein und die Telemedizin macht mir da Hoffnung. Es muss ja nicht immer ein Arzt in jedem kleinen Nest sein, es würde ja reichen, kleine Ambulanzen zu haben, wo dann gar kein Arzt ist, sondern „Schwester Käthe“, die immer da ist – und wenn’s eng wird, holt sie halt ’nen Arzt dazu. Wie früher die Gemeindeschwester. Das könnten Rettungssanitäter oder Krankenpfleger sein. Wenn in bestimmten Abständen von Ortschaften zeitnah so eine Ambulanz zu erreichen wäre, die dann auch mit gut bezahlten Fachkräften besetzt ist – das wäre auch so eine Zukunftsvision, die ich toll fände. Und das hält die Leute dann auch auf dem Land.

Man muss mobil bleiben können, das macht das Leben lebenswert, gerade hier auf dem Land. Auf dem Tümlauer Koog gibt es gar keinen Nahverkehr, d.h., wenn man nicht mehr selber fahren kann, kommt man dort nicht weg. In Tating gibt es nur den Zug und den Schulbus. Wenn sich der Rufbus etabliert, dann kann man natürlich Hoffnung haben, dass wir da auch mit angebunden werden, denn das würde vielen gerade älteren Leuten helfen, wenn es darum geht, ihre Einkäufe zu erledigen.

Dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit, übers Internet Lebensmittel zu bekommen. Wenn es darum geht, wie kann ich mein Altwerden am besten regeln, dann ist die Sache mit dem Internet eine tolle Geschichte, wenn ich damit meine Heimat nicht aufgeben muss. Das darf dann ruhig ’nen Euro teurer sein. Ich habe die Hoffnung, dass die Entwicklung in diese Richtung geht. Das Internet wird sicher noch große Veränderungen bewirken. Ich hoffe, dass der Gebrauch vom Internet in Zukunft auf das Nötigste begrenzt wird, also wenn ich es wirklich brauche. Das hoffe ich gerade für die jungen Leute.
Pflegeroboter unbedingt – viel lieber als Angehörige, weil ich weiß, wie belastend Pflege für die Angehörigen ist, nicht, weil ich sie nicht gerne um mich herum haben will, um Gottes Willen! Das ermöglicht mir vielleicht sogar, dass die Angehörigen dableiben können und ich nicht irgendwo in ein Pflegeheim muss oder meine Angehörigen durch die Belastung kaputtgehen.

Anke, Nehms, 47, Hauswirtschaftsleiterin Biolandhof

Fotografie morgenLand 8:
Nehms/Am Lehmberg, Kreis Segeberg

Wir leben hier auf unserem Biolandhof in drei Generationen zusammen. Es ist ein Geben und Nehmen, ein Miteinander: der eine hilft dem anderen, ohne auf die Zeit oder das Geld zu schauen. Mein Wunsch fürs Alter: Gemeinsam mit der Familie, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen in allen Aspekten des Lebens, die es gibt.
Jeder trägt seinen Teil nach eigenen Kräften und Fähigkeiten bei und wird von der Gemeinschaft getragen, einschließlich meiner 91-jährigen Schwiegermutter, die dement ist. So können wir uns gegenseitig sehr viel geben und das ist einfach klasse!
Mein Schwiegervater hat bis drei Monate vor seinem Tod mit 93 Jahren noch tagtäglich auf dem Hof mitgeholfen, so weit, wie ihn seine Füße tragen konnten: er hat gefegt, nach den Tieren geschaut und sie gefüttert. Und wir haben geschaut, dass wir das, was er tut, ergänzen. Er war beschäftigt, und das hat ihn bis ins hohe Alter am Leben gehalten. Für mich ist es eine schöne Vorstellung, im Alter für etwas nützlich zu sein und mitzuhelfen, zum Beispiel auf Kinder aufzupassen und mit ihnen zu spielen. Das geht auch noch im hohen Alter. Bei uns haben die Schwiegereltern oft die Kinderbetreuung übernommen und ich hatte dann Zeit, z.B. den Garten umzugraben. Das war einfach super. Und auf Kinder aufpassen geht immer. Ich finde es einfach wichtig, dass man eine Aufgabe hat und nicht als nutzlos abgestempelt wird.
Die Arbeitseinteilung auf dem Hof ist so, dass immer einer da ist, sowohl für die Oma als auch für die Tiere. Unsere Vorstellung fürs Alter ist, uns hier auf dem Hof ein Altenteil zu bauen, hier zu wohnen und bei Bedarf mitzuarbeiten – weil das einfach Arbeitskräfte sind, die gebraucht werden.
Bei uns ist es familiär einfach klasse: die Kinder sind mit Freuden dabei. Und das ist das, was trägt und was so viel Spaß macht. Und sie schmieden schon Pläne, wie es hier später laufen kann, wenn sie den Hof übernehmen. Die machen sich jetzt schon Gedanken dazu, wie sie später alt werden möchten – um eine Idee davon zu bekommen, was wir im Alter brauchen könnten und um uns etwas zurückgeben zu können!
Meine Idee ist, uns komplett selbst zu versorgen aus dem eigenen Gemüsegarten. Wir machen auch sehr viel Vorratshaltung; ich habe einen Vorratskeller, von dem ich Jahre leben könnte. Dadurch ist die Versorgung schon ganz gut gesichert und ich hoffe, dass die jungen Leute damit weitermachen und wir im Alter dazu beitragen, soweit es geht.

Ich kann mir gut vorstellen, dass für bestimmte Pflegemaßnahmen, z.B. Waschen, jemand kommt und hilft, damit die Angehörigen nicht alles machen müssen und die alten Menschen zuhause bleiben können. Ein Pflegeheim ist für uns aber keine Alternative: auch der alte Mensch gehört zur Familie und darf bis zum Ende dort bleiben.
Da wir ein Biolandhof sind, arbeiten wir seit 17 Jahren mit den Tieren homöopathisch, so dass wir mit der Schulmedizin nicht viel zu tun haben. Es gibt ja auch viele andere Wege. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal beim Arzt war. Also: Selbstversorgung so weit wie möglich auch medizinisch. Wichtig ist einfach das Zuhören, das Zwischenmenschliche, auch in der Medizin.
Früher hätte ich gesagt: Ohne Auto geht’s gar nicht. Heute brauche ich es fast nicht mehr. Die wenigen Wege, die ich mache, sind der Weg zum Schlachthof, mit dem Pferdeanhänger zum Reitunterricht und mal die Kinder oder Whoofer vom Bus oder Zug abholen. Ich muss hier nicht mehr weg. Für die Kinder ist es schon wichtig, dass sie selber fahren können. Aber viele Wege, z.B. zur nächsten Bushaltestelle, können auch mit dem Fahrrad gemacht werden. Oder mit der Pferdekutsche. Es geht einfach darum, die eigenen Bedürfnisse umzustrukturieren, also eher den eigenen Bedarf anzupassen als die äußere Struktur für meine Luxusbedürfnisse zu verändern. Das heißt zum Beispiel: nicht unnötig viel fahren, um die Umwelt zu schonen und Einkäufe und Erledigungen bündeln, Fahrgemeinschaften bilden, für Nachbarn mit einkaufen.

Ich stehe dem Internet und der Überwachung, die damit zusammenhängt, kritisch gegenüber. Also: weniger Computer und Datenweitergabe. Es geht eben auch ohne. Oft werden Daten abgefragt, die gar nicht nötig sind und von denen keiner weiß, wo sie landen und wie sie weiterverwendet werden. Die digitale Kontrolle ist enorm und erschreckend. Deshalb sehe ich auch alles, was das zwischenmenschliche Netzwerk durch Digitalisierung ersetzen soll – wie führerlose Busse oder Pflegeroboter – kritisch. Ich finde es wichtiger, das soziale Netzwerk zu unterstützen. Das Zwischenmenschliche ist wichtiger als alles andere.

Ich wünsche mir weniger Chemie auf dem Acker, denn es geht wirklich ohne. Nur die kleinbäuerliche Struktur kann die Welt ernähren, nicht die großen Bauern – die schaffen das nicht, weil die Artenvielfalt verloren geht.

Wir wissen, das wir nicht alles auf einmal umkrempeln können, aber wir versuchen als Biohof ein Stückchen zu einer lebenswerten Zukunft beizutragen, hier, auf unsere Art.